Ein Abschied von der Unfehlbarkeit des Mächtigeren

Die neue Art der Führung ist vernetzte und integrierende Führung. Weg von „einer allein trägt die Verantwortung“ hin zu „die besten Kompetenzen und Perspektiven verbinden sich“. Mit dem neuen Paradigma von Führung wandelt sich auch das Verständnis vom Selbstbewusstsein in der Führungsrolle. Ein Wandel, der sich zunächst in der inneren Haltung und dann im Außen zeigt.

Sichtbar wurde das für uns gerade wieder in einem unserer letzten Projekte. Wir wurden von einem jungen Change-Team ins Unternehmen geholt – allein für das Hinterfragen ihrer bisherigen Vorgehensweise in der Organisationsentwicklung. Früher wurden wir für die aktive Begleitung von Change-Projekten eingekauft. Heute besteht der Auftrag darin „die blinden Flecken aufzudecken“ und gemeinsam die Wirksamkeit von Entscheidungen zu verstärken, kritisch zu hinterfragen und frische Perspektiven einzubringen. Die Führungsebene führt den Change selbst durch und holt sich lediglich einen Spiegel zur Supervision und Selbstreflexion.

Ein Wandel, der uns sehr erfreut, zeigt er doch die Reife und Wirksamkeit des Teams. Dies ist eine Tendenz, die sich schon länger in unserer systemischen Organisationsberatung zeigt: das persönliche Spiegel-Vorhalten, das (kritische) Reflektieren und sich selbst-bewusst werden von Zusammenhängen und Wirktiefe von Entscheidungen wird mehr denn je nachgefragt – gerade (und nicht nur) von der neuen Generation der Führungskräfte.

Das neue Level von Selbst-Bewusstsein

Sprechen wir von einer selbst-bewussten Führungspersönlichkeit, meinen wir nicht die Form von Selbstbewusstsein, die oft als starkes Ego oder Selbstverliebtheit nach außen wirken mag. Dieses findet sich oft noch in Kontexten, in denen Führung immer Antworten haben muss und durch Abgrenzung und Distanz Macht und Erfolg erzeugt. Gemeint ist vielmehr die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und das bewusste Hinterfragen, wie zum Beispiel durch folgende Impulse:

  • Wie wirke ich auf andere? Was löst mein Verhalten bei anderen aus?
  • Wie nehme ich Einfluss und wie geht es meinem Gegenüber damit?
  • Welche Dynamiken erzeuge ich durch meine Führung im Team/Unternehmen? Wie förderlich sind diese für das Wachstum und die Entwicklung meines Teams?
  • Wer darf mich hinterfragen? Und wie reagiere ich dann?
  • Kenne ich meine eigenen Entscheidungs- und Wahrnehmungsfilter?

Wir sehen in einer selbst-bewussten Führung eine Führung, die auf Beziehungsarbeit und Transparenz setzt, die sich selbst in Frage stellt und stellen lässt, die Verletzlichkeit zeigt, zuhört, spürt und Raum gibt. Eine Führung, die das große Ganze im Blick hält, strategische Aktivitäten synchronisiert, sich nach Sinn und Stärken ausrichtet, situativ agiert und durch Ungewissheit und Krisen begleitet.

Co-Creation: Dialog und Beziehung ist Trumpf

Dialog- und Beziehungsfähigkeit spielen eine wichtige Rolle in dieser Art zu führen. Dialog im Sinne von Transparenz und Mitgestaltung. Innere Bilder zu teilen hilft ebenso wie das Verbinden von Mitarbeitern und Themen oder Projekten. Co-Creation als Kooperation auf Augenhöhe macht es möglich, eigenverantwortlich im Sinne des Unternehmens zu agieren und sich innerlich damit verbunden zu fühlen. Als Führungskraft Dialog und Beziehung ins Zentrum zu stellen, setzt voraus, sich seiner eigenen inneren Bilder und Muster bewusst zu sein und auch seiner Wirkung auf andere. Zur Selbstreflexion laden dabei folgende Impulse ein:

  • Inwieweit habe ich die Wirkzusammenhänge meines Teams/Verantwortungsbereichs und darüber hinaus im Blick?
  • Was schwingt gerade in unserer Teamkommunikation mit? Wie ist die Stimmung? Wo sind Störungen spürbar? Was will gelöst werden?
  • Welche Handlungen oder Entscheidungen bringen diese Zusammenhänge hervor?

Raum zum Innehalten und Platz für große Gedanken

Im operativen Managementalltag ist dies auf den ersten Blick schwer vorstellbar. Dennoch braucht es diesen Raum, um sich neu auszurichten und den Fokus für Klarheit in Entscheidungen in innerer sowie äußerer Ausrichtung zu finden. Das können Dialogräume im Rahmen von Projektarbeit sein, wöchentliche oder monatliche Routinen im Führungskreis zur fokussierten Reflexion, Supervisionstermine, Sparring und Coaching als Entwicklungstools sowie Zeit für sich selbst am Anfang oder Ende eines Tages.

Neben dem gemeinsamen Sprechen ist auch die Stille ein kraftvoller Ort. Hier finden Gedanken ihren Raum. Man betritt den Resonanzraum zu sich selbst und kommt in den Modus des Spürens. Impulse, die solche Reflexionsräume mit Leben füllen können sein:

  • Wie möchte ich mich und meinen Verantwortungsbereich zukünftig ausrichten? Welche Tendenzen für die kommenden Jahre sind jetzt schon am Horizont sichtbar?
  • Was ergibt mir/uns gemeinsam Sinn und wie kann ich das durch mein Führungsverhalten stärken?
  • Wie halte ich weiter den Kurs aufs Wesentliche in meinen Entscheidungen und im gemeinsamen Handeln?

Wer im Innen klar ist, kann nach außen wirken

Der Weg zu einer selbst-bewussten Führungspersönlichkeit führt über den Weg der Selbsterfahrung. Kurz zusammengefasst: Eine selbst-bewusste Führungspersönlichkeit beobachtet, spürt und fokussiert das Wesentliche.

  • Wie gut kenne ich meine Intuition und wieviel folge ich ihr im Alltag?
  • Bin ich im Außen das, was ich im Innen fühle? Wie authentisch erlebt mich mein Umfeld?

Die Kraft der Intuition spüren zu können, ermöglicht es, diese zusätzliche Ressource in Entscheidungsprozesse bewusst zu integrieren und gute Entscheidungen auch bei unvollständiger Information treffen zu können. Störungen zu spüren und Konflikten angstfrei zu begegnen, hilft zum Wesentlichen zu finden und Themen dort zu lösen, wo sie entstehen. Es ist ein Reifungsprozess einer Führungspersönlichkeit, der sie am Ende authentischer werden und sicherer und zufriedener Teams und Unternehmen führen lässt.

Verhalten müssen Sie sich als Führungskraft sowieso – vielleicht haben Sie ja Lust, es mit mehr Bewusstsein zu tun?

Wer Lust hat sich auf diese Reise zu begeben, kann mehr zu diesem Thema in unserem Buch „Transformation von Führung“ nachlesen.

 

Photo credit: pexels, Johannnes Plenio