Polaritäten als Motor für Organisations-Veränderungen: Gegensätze produktiv in Reibung bringen

Navigieren in Spannungsfeldern ist für Sie als Führungskraft wahrscheinlich normaler Alltagszustand. In unserer Beratungsarbeit erleben wir Führungskräfte, die häufig in komplexen und wenig durchschaubaren Situationen schwierige Entscheidungen zu treffen haben. Meist wird dies als permanenter Drahtseilakt erlebt.

Zentralisierung oder dezentrale Einheiten stärken? Das Kerngeschäft weiter ausbauen und daran gemessen werden oder risikofreudiges Verhalten und Vorstoßen in ganz neue Märkte? Mitarbeitern großzügig Freiräume gewähren oder klares Steuern und konsequentes Führen? Beides geht meist nicht zeitgleich zusammen. Entscheidet man sich für das Eine, stellt man das Andere in den Schatten.

Um Organisationen gut aufgestellt mit klugen Entscheidungen in die Zukunft zu führen, gilt es sich vom Mythos der Eindeutigkeit zu verabschieden, um einen  guten  Umgang  mit  Widersprüchen  und  Ambivalenzen  zu  pflegen.

Dieses Thema haben wir in diesem Artikel für Ihre Führungspraxis aufbereitet, um Ihnen aufzuzeigen, wie man Polaritäten vom Unbewußten auf die sichtbare Bühne holt. Und wie es gelingen kann, Gegensätzliches in einen produktiven Austausch zu bringen. Denn Spannungsfelder enthalten kreatives Potenzial – gerade in kniffligen Entscheidungsprozessen.

Was ist mit Polaritäten gemeint?

Polaritäten beschreiben Gegensätze oder Ambivalenzen. Das EINE und das ANDERE – zwei Pole, die sich gegenüber stehen und doch ineinandergreifen. Genauso wie es Licht und Schatten gibt, ist das Eine im Anderen bereits angelegt und beide Pole stehen miteinander in Verbindung. Fokussiert man sich nur in die eine Richtung findet der Gegenpart im Verborgenen statt und aktiviert Kräfte, die zu Spannungen führen – sichtbar in Form von Blockaden oder Konflikten in der Organisation.
In einem Change-Projekt, in dem wir beratend tätig waren, zeigte sich zum Beispiel eine starke Dynamik zwischen beharrenden und zukunftsgewandten Führungskräften. Die eine der beiden Gruppen fühlte sich unverstanden hinsichtlich der anstehenden Reorganisation, zeigten starken Widerstand, vernetzten sich miteinander und fühlten sich als „Hüter des Guten“, da sie sich in der Veränderung nicht mitgenommen und abgewertet fühlten. Die Abwertung bezogen sie weniger auf die momentane Situation als vielmehr auf die Wertigkeit ihrer bisherigen Leistungen, mit denen sie die Organisation ins heute geführt hatten. Dagegen standen die „Zukunftsgewandten“, die sich vom Widerstand der Anderen gebremst und unnötig blockiert fühlten. Sie wollten nach vorne schauend gestalten und verloren schnell die Geduld in endlos scheinenden Diskussionen über die Veränderung.
Diese oder eine ähnliche Situation kennen Sie sicher – beschreibt sie doch, was in fast allen Veränderungsprozessen geschieht: die Auseinandersetzung von Altem und Neuem, von Beharren und Verändern. Zwei Pole, die beide ohne den Anderen nicht können.

Leitfragen im Umgang mit Polaritäten

In der systemischen Organisationsberatung, liegt der erste Schritt immer erstmal im Wahrnehmen und Beobachten.
Um Blockaden, die durch Polaritäten auftreten zu lösen, gilt es sichtbar zu machen, was auf der Hintergrundsbühne passiert und zu entdecken, welche Ambivalenzen den Spannungen zugrunde liegen. Beide Pole sind dabei genau zu erforschen und in einen konstruktiven Dialog miteinander zu bringen.
Warum fällt uns das so schwer? Wir sind es aus der schulischen und beruflichen Laufbahn meist gewohnt für Probleme eine einzig richtige Antwort finden zu wollen. In sozialen Systemen aber stehen Probleme und ihre Ursachen meist in keinem eindeutig linearen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang.  Nutzen wir dieses gewohnte, lineare Denken, um uns Polaritäten zu nähern, verschlimmern wir das Problem weiter. Nur in der Kombination beider Pole werden sich gelungene Antworten finden. Das Eine geht nicht ohne das Andere.

Die entscheidenden Fragen im Umgang mit Polaritäten für Ihre Führungspraxis**:
  1. Ist es mir möglich, die Polaritäten, zwischen denen ich mich im Organisationsalltag bewege, wahrzunehmen – auszuhalten und zu akzeptieren?
  2. Kann ich im Einen, wie im Anderen die positiven Seiten erkennen? Die positiven Effekte, die der jeweilige Pol mit sich bringt?
  3. Wie kann ich die positiven Effekte des einen und des anderen Pols gut nutzbar machen? Was sind konkrete Ideen/ Maßnahmen?
  4. Wenn ich mich zu sehr auf den jeweiligen Pol fokussiere, welche negativen Effekte können auftreten?
  5. Wann erkenne ich, dass ich mich in den negativen Bereich bewege? Was sind Frühwarnindikatoren?
  6. Wie sieht eine sinnvolle Verbindung des Einen mit dem Anderen aus? Welche größere Bedeutung/ welchen Sinn könnte eine Integration der beiden Pole haben?

Ein solcher eher beobachtender als bewertender Umgang mit Polaritäten kann helfen, sich in komplexen Problemsituationen sicher zu bewegen ohne daran zu verzweifeln – oder, wie es oft ohne eine klare Linie geschieht, heute so und morgen so zu entscheiden. Die eigene Kompetenz im Umgang mit komplexen Problemen und Themen der Organisation wird damit gesteigert und darüber Lösungen für organisationale Themen entwickelt, die langfristig Wirkung zeigen können.

Quellen:
*Fröhlich, Caspar: Deep Cemocracy im Organisations- und Businesskontext für Change Professionals. E-Book. URL: Froehlich-coaching.ch

**vgl. hierzu: Barry Johnson: Polarity Management: Identifying and Managing Unsolveable Problems