Sie kennen es vielleicht – wenn Führungskräfte in Krisen stecken: sich entweder zurückziehen, keine Entscheidungen mehr treffen und verzweifelt im Nichtstun ausharren. Oder das gegenteilige Verhalten: emotional ausbrechen, brüllen, abwerten und durch permanenten Ad-hoc-Modus kein strategisches Handeln für Mitarbeiter mehr möglich machen. Beide Muster bieten keinen Weg aus der Krise, sondern vertiefen die Krisendynamik und führen irgendwann ins Aus. In solchen Momenten schießen dem Beobachter schnell Wertungen in den Kopf, von inkompetent bis führungsunfähig. Doch dieses Verhalten ist zutiefst menschlich und hat seine Ursachen.

Die Führungsforschung befasst sich seit vielen Jahren mit dem Thema Management Derailment, was so viel bedeutet wie Entgleisung der Führungskräfte und für viele das Ende der Karriere mit sich bringt. Wir haben uns in unserem Blog bisher viel mit der Stärkung von Führung beschäftigt und der Weiterentwicklung von Profil und Persönlichkeit als Führungskraft. Derailmenteffekte beschreiben die Schattenseite von Führung und sind daher wichtig zu kennen, da nur die Selbstreflexion solchen Phänomenen frühzeitig vorbeugen kann.

Was zur Entgleisung führt

„Im normalen Zustand dieses Nervensystems körperschaftlich organisierter Unternehmen werden deutlich absehbare Unternehmenszusammenbrüche von den zuständigen Unternehmensorganen erst dann wahrgenommen, wenn die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten ist. Dann geraten die Verantwortlichen plötzlich ins Schwimmen, nachdem sie vorher auf dem Wasser gegangen sind.“  So beschreibt Sebastian Hakelmacher das Phänomen, wenn Führung ins Wanken gerät und Scheitern nicht mehr aufzuhalten ist. (1)

Hervorgerufen wird dieses Scheitern durch wiederholtes, systematisches Handeln oder Nichthandeln, das zu gravierenden Misserfolgen führt, wie zum Beispiel dem Nichterreichen wichtiger Ziele, dem Verursachen finanzieller Schäden, dem Zerstören von Arbeitsstrukturen oder dem Untergraben der Motivation, des Wohlbefindens und der Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter. (2)

Meist treffen hier unterdrückte Persönlichkeitszüge und äußere Situation aufeinander. Durch Veränderungen im Unternehmen treten Momente der Überforderung auf. Die Schattenseiten der Persönlichkeit übernehmen die Führung – ausgelöst von äußerem Druck und starkem Leistungsfokus. Auch andauernde Überforderung in der Führungsrolle oder das Gefühl der inneren Überlegenheit können Auslöser sein. (3). Diese Phänomene passieren meist unbeabsichtigt, weil sie unreflektiert sind.

Prozess Derailment

Prozess Derailment

Explodieren oder Implodieren – verschiedene Verhaltenstypen

In der Führungsforschung werden externales und internales Derailment unterschieden (4).

Beim internalen Derailment schaden die betroffenen Führungskräfte sich selber, sie „implodieren“ sozusagen. Zurückziehen, Nicht-Entscheiden, Aussitzen von Krisensituationen sind die sichtbaren Anzeichen. Das Umfeld leidet eher passiv und durch die Auswirkungen des Nicht-Entscheidens.

Symptome, die zum Zusammenbrechen führen können, sind anhaltende Erschöpfung, Schlaflosigkeit, Frustration und Stimmungsschwankungen, Angstzustände oder Konzentrationsstörungen. Oft haben die Betroffenen das Gefühl, alles alleine aushalten und managen zu müssen und dabei nicht zusammenbrechen zu dürfen. Der Weg in den Burnout steht meist kurz bevor. (4)

Im Gegensatz dazu äußert sich beim externalen Derailment die Krise sichtbar im Außen, die Betroffenen explodieren und ziehen das Umfeld in direkte Mitleidenschaft (4). Die Unberechenbarkeit dieses Verhaltens führt meist zu Angst, Misstrauen und einem undurchsichtigem Ad-hoc-Modus für die Mitarbeiter. Aufgaben und Prioritäten werden aus Angst automatisch angepasst an das Ausbruchsverhalten des Chefs, strategisches und selbstverantwortliches Handeln fällt hier schwer. Wutausbrüche, unangebrachte Beleidigungen, Selbstüberschätzung, starke Dominanz in Konflikten, Willkür und Abwertungen sind Symptome des externalen Derailments. Meist wird dies von den betroffenen Führungskräften nicht mehr wahrgenommen. Dieser Typ Führungskraft hat es im Laufe seiner beruflichen Laufbahn geschafft, sich erfolgreich durchzusetzen und zu positionieren – oft fehlen jedoch die Sensibilität für Widerstände im Umfeld und der Fokus auf soziale Prozesse (4), die sich dann in der Krise verselbstständigen.

Bei beiden Typen besteht das Muster, dass durch den Krisenzustand die erlernten Erfolgsmuster nicht mehr greifen. Dies destabilisiert innerlich noch zusätzlich. Die Auswirkungen, die solche Entgleisungen haben können, sind sowohl finanziell und vom unternehmerischen Risiko der Fehlentscheidungen, als auch von den psychologischen Auswirkungen bei betroffenen Führungskräften, wie dem sozialen Umfeld, immens.

Der Schlüssel zur Krisenprävention: Selbstreflexion der eigenen Schattenthemen

In der Krisendynamik, ob external oder internal begegnen die Führungskräfte ihrer eigenen dunklen Seite und dem nicht gelebten Teil ihrer Persönlichkeit. Meist geht es darum, nicht mehr das richtige Maß zu finden oder Sorge zu haben, sich selbst zu verlieren.

Steigt der Druck, führt dies zu innerer Anspannung und die Selbststeuerung funktioniert nicht mehr wie gewohnt. Ein Gefühl von Ohnmacht macht sich breit, was zu Ausbruch oder stärkerem inneren Rückzug führt. Das eigene Verhalten ist nicht mehr wie gewohnt steuer- und kontrollierbar (4).

Ein Mechanismus, um solchen Situationen vorzubeugen, ist die regelmäßige Selbstreflexion und Auseinandersetzung mit den eigenen Schattenthemen. Ein anstrengender Prozess, der sich aber lohnt. Denn Schattenthemen spielen nicht nur in Führungsthemen eine Rolle, sondern in jeglicher Form menschlichen Verhaltens.

Der Schatten (5) stellt das Gegenstück zur eigenen Persona dar und enthält unterdrückte Züge der eigenen Persönlichkeit. Sobald Sie bereit sind, für die verdrängten Seiten Ihrer Persönlichkeit ebenso Verantwortung zu übernehmen, wie für die Sonnenseite, verlieren diese in der unbewussten Steuerung an Macht und der Schatten wird zur Kraft, die menschlicher und lebendiger macht. Einen Zugang zum eigenen Schatten finden Sie über die Projektionen. Alles, was man an sich selbst nicht haben möchte oder sich nicht zugesteht, projiziert man in der Regel auf sein Umfeld. Jemand, der selber sehr gefällig agiert und sich nicht durchsetzen kann, wird dominante, durchsetzungsstarke Menschen entweder abwerten oder anhimmeln – beides sind Projektionen der eigenen fehlenden Durchsetzungsstärke.

Auf die Spur der persönlichen Schattenthemen kommen

  • Welche Verhaltensweisen von Menschen werte ich ab? Worüber könnte ich mich stundenlang aufregen? Oder wo erhöhe ich Menschen für bestimmte Verhaltensweisen?
  • Worin limitiere ich mich? Was gestehe ich mir nicht zu?
  • Was ist mein Muster in der Krise? Woran erkenne ich frühzeitig, dass ich in die Krisendynamik gehe?

Integrieren statt abspalten – wie die Schatten Wirkung entfalten

Wenn Sie die verdrängten Züge der eigenen Persönlichkeit in den Blick nehmen, ist das der erste Schritt, dass diese an unbewusster Steuerung verlieren. Hiermit kommen sie ans Tageslicht und können im Positiven für sie wirken. Unterdrückte Verhaltensweisen bieten meist eine sinnvolle Ergänzung des eigenen Verhaltens und machen die Persönlichkeit runder.

Anstelle sich innerlich zu verbieten, z.B. in die Dominanz zu gehen, ist die Frage also: an welchen Stellen darf ich mir Dominanz zugestehen? Wo möchte ich mich mit meiner Meinung durchsetzen und anderen dominant gegenüber treten? Sie selber bestimmen die Dosierung. Manchmal reicht eine Prise von …, manchmal muss man den Schatten erstmal für eine Zeit intensiver leben, bevor sich die innere Balance einstellt. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schatten lässt Menschen reifen und in ihr ganzes Potenzial kommen.

Was heißt das für Sie als Führungskraft?

Die Integration der eigenen unterdrückten Züge der Führungspersönlichkeit ist kein Weg, der von heute auf morgen passiert. Es ist ein Weg, der Geduld und regelmäßiges Reflektieren braucht und mit der Zeit dazu führen kann, dass Sie auch in krisenhaften Zeiten die Steuerung über sich stabil behalten und souverän Krisen gemeinsam mit Ihrem Umfeld meistern können. Auch das Einholen von Feedback kann in solchen Situationen sehr hilfreich sein. Meist nimmt man das eigene Verhalten in der Krise nicht mehr wahr und ist im „Tunnelmodus“. Kollegen oder Mitarbeiter können helfen, Rückmeldung über Ihr Verhalten und Ihre Wirkung zu geben, um Übersteuerung und ungewollte Effekte in der Organisation zu vermeiden.

Wollen Sie tiefer in dieses Thema einsteigen? Dann schauen Sie in unserem Beratungsfeld „Wachtsum in der Führung“ nach den für Sie geeigneten Möglichkeiten oder rufen Sie uns unverbindlich an.

Quellen:

(1) Hakelmacher in: Die Wirtschaftsprüfung 4/2007, S. 157

(2) Westermann und Birkhan, 2013

(3) vgl. Schäfer, U. (2015): Wolfsburger Zustände überall. In: Sueddeutsche.de; http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/umfrage-wolfsburg-ist-auch-anderswo-1.2763988; zugegriffen am 24.03.2016

(4) Bäcker/Haag: Derailment. Wenn Führungskräfte aus der Spur geraten. Rehm Verlag/PÖS, Band 11, 2014, ab S. 61

(5) Kast: Die Tiefenpsychologie nach C.G. Jung. Eine praktische Orientierungshilfe. Pathos Verlag 2014

Grafik Derailment angelehnt an (4)

Photo credit: Dominik Martin, unsplash